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Evan Vosberg

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Die 100 Kilometer des “Gürtel des Ruhmes”

Die 100 Kilometer des “Gürtel des Ruhmes” sind eine besondere Art des Gedenkens, Radfahrer fahren eine Strecke von ca. 100 Kilometer um Odessa (Ukraine) im Gedenken an die Befreiung von Nazi-Deutschland am 10. April 1944.

Die erste Tour der 100 Kilometer des “Gürtel des Ruhmes” fand 1974 statt, damals wurde die Strecke aber noch nicht mit dem Fahrrad zurückgelegt, sondern gelaufen. Die Disziplin des Radfahrens kam erst 1983 hinzu, seit findet diese Tour jedes Jahr am Samstag um den 10. April herum statt. In einigen Jahren gab es Athleten, welche die 100 Kilometer sowohl zu Fuß und am Tag darauf mit dem Rad zurück gelegt haben. Trotz dieser ambitionierten Leistungen ist es kein Wettrennen, es ist eine Ausfahrt. Zwar gibt es ein Zeitlimit zum Radfahren von 10 Stunden, was aber im Grunde nur bedeutet dass man im Durchschnitt 10 km/h schnell sein muss und dies ist auch für nicht Athleten zu schaffen, ankommen ist das oberste Ziel.

In diesem Jahr fand die 34. “велосотка” statt, das Starterfeld umfasste fast 2000 Radfahren. Egal ob mit leichten Carbon-Renner, Mountainbike, Tourenrad es wurde gefahren was zwei Räder hat und sich mit Muskelkraft über Pedale antreiben lässt. Es war eine bunte Mischung verschiedenster Radfahrer, es hatte ein wenig den Anschein einer großen Critical Mass.

Gestartet wurde am Park Shevchenko nachdem in einer Zeremonie Blumen am Denkmal der Unbekannten Seefahrer (welche im zweiten Weltkrieg ihr Leben ließen) niedergelegt wurden. Der Trott setzte sich ganz langsam in Bewegen, ähnlich wie bei der Critical Mass, und schlängelte sich aus der Stadt heraus bevor es auf die Autobahn in Richtung Kiew ging, welche in dieser Richtung extra für die Radfahrer abgesperrt wurde. Nach ein paar Kilometern müssten die Radfahrer die Autobahn allerdings wieder verlassen. Es ging in Richtung Westen, die Straße wurden kleiner, waren aber für Ukrainische Verhältnisse wie auch die Autobahn in recht gutem Zustand. Nach etwa 37 Kilometern kam der erste Kontrollpunkt kurz darauf ging es weiter in Richtung Süden. Die Straßen führten nun durch kleine Dörfer und wurden zunehmen schlechter, Schlaglöcher in denen man gefühlt ganze LKWs verstecken könnte. Hier forderten die Ukrainischen Straßen schon ihre ersten Opfer, denn so mancher Rennradler stand am Straßenrand und war dabei den Schlauch zu wechseln oder zu flicken. Auf den 30 Kilometern in den Süden bremste nun der Wind welcher vorher noch von der Seite zu spüren war des Tempo erheblich aus. Teilweise krochen die Radler nur noch mit 10 bis 15 km/h dahin. Es wurde für viele der anstrengendste Teil der Strecke, so mancher hatte sich bis dahin schon übernommen und saß nun im grünen während versucht wurde die Muskeln mittels Massage wieder fit zu machen. Nach Kontrollpunkt 3 am südlichsten Zipfel der Tour gab es noch einmal Seitenwind bevor endlich der ersehnte Rückenwind für einige Kilometer einsetzte. Nach 106 Kilometern erreichten die meisten das Ziel, am Denkmal für die heldenhafte Verteidigung von Odessa – durch das 411. Küstenbataillon. Der erste, Виктор Галицкий, erreichte das Ziel bereits nach 2 Stunden und 47 Minuten, der letze welcher im Zeitlimit der 10 Stunden blieb kam nach 9 Stunden und 59 Minuten an. Bis auf einen schweren Unfall und ein paar kleinere Remper hier und da, war es alles in allem eine sehr gelungene Veranstaltung.

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Auch angesichts der politisch angespannten Lage war diese Veranstaltung sehr spannend, denn die politischen Lager sind gespalten. Für die einen ist dieser Tag wie schon erwähnt die Befreiung von Nazi-Deutschland durch Stalin, für andere ist dies der Begin der Besatzung durch Stalin. Denn die Ukrainer kämpften nicht nur gegen Nazi-Deutschland sondern auch gegen die Rote Arme, für den Kampf gegen die Rote Arme machten manche sogar mit den Nazis gemeinsame Sache. Auch im aktuellen Konflikt kochen diese unterschiedlichen Ansichten immer wieder hoch. Bei den Pro-Russischen-Demonstrationen sah man Sankt-Georgs-Band ein Ehrenabzeichen für Sieg über Deutschland, bei den Anhängern steht die Ukrainische Flagge als Symbol für die Unabhängigkeit des Landes. Radfahren verbindet, ganz im Gegenzug zu der sonstigen politischen Lage, gab es diesen Konflikt bei der 100 Kilometer Ausfahrt um Odessa nicht. Die Befreiung von Nazi-Deutschland wurde hier zum Symbol der Unabhängigkeit, es ist beeindruckend wie fast 2000 Radfahrer oft geschmückt mit der Ukrainischen Flagge gemeinsam friedlich und unabhängig der sonstigen politischen Überzeugung diesem Tag gedenken.

Ein paar Tage vor der Tour traf ich ein paar der Organisatoren, Дмитрий Волошенков und Руслан Брегунец. Da ich mich für das Treffen vorher angemeldet habe war auch eine Dolmetscherin zugegen, so sprachen wir nicht nur über die Tour um Odessa sondern auch über Fahrradpolitik. Die Lage in Berlin ist zwar bei weitem besser ist als in Odessa oder in der sonstigen Ukraine, dennoch hat man schnell den Eindruck das auch dort Fahrradpolitik hauptsächlich aus schönen Worten statt Taten besteht. Jedes Jahr werden in Odessa auf’s neue Radwege versprochen, leider folgten diesen Worten bisher keinerlei Taten.

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Über diesen besonderen Tag des Gedenkens auf dem Fahrrad zu berichten ist das Eine, sich selbst auf’s Rad zu schwingen um mitzufahren das Andere. Ich entschloss mich Teil davon zu werden, im Sinne der Versöhnung startete ich mit Deutscher und Ukrainische Flagge am Rad und machte mich mit all den anderen auf den Weg die 100 Kilometer um Odessa, den “Gürtel des Ruhmes”, zurückzulegen. Der von mir mit komoot aufgezeichneten Tour kann man entnehmen, dass ich zwar nicht wirklich nah an den ersten dran war, aber mit Platz 475 gut im ersten drittel lag.

15. April 2016

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