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Evan Vosberg

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#StayWithUkraine

Die Ukraine mit dem Fahrrd entdecken

Vorwort

Damals hatte ich mir Irgendwie schon länger mal vorgenommen Osteuropa zu bereisen. Im Jahr 2013 war es dann soweit, ein Freund und ich wollten im Sommer auf die Krim, zuvor wollte ich aber noch Kyjiw und Odesa reisen bevor wir uns dann auf der Krim treffen wollten. Es kam allerdings anders, er sagte mir ab. Es bedurfte also eines neuen Plans und da ich mir gerade ein neues Fahrrad gekauft hatte kam es zur Idee die Ukraine mit dem Rad zu bereisen. Ich wollte von Berlin mit dem Zug nach Kyjiw und vor dort aus dann nach Odesa radeln. Leider wurde die letzte direkte Zugverbindung in die Ukraine 2012 gestrichen, also musste auch hier ein anderer Plan her. So sollte es zunächst mit dem Zug nach München gehen um von dort aus nach Kyjiw zu fliegen. Aber auch dieser Plan schien fast sprichwörtlich ins Wasser zu fallen, ihr erinnert euch sicherlich noch an das Hochwasser von 2013 wo es auch zu vielen Zugausfällen kam. Ich Stand also in Jena am Bahnhof und wartete auf meinen Zug nach München, wobei völlig unklar war wann und ob dieser denn tatsächlich fahren würde. Mit viel Verspätung ging zum Glück noch einmal alles gut und ich bekam meinen Flug nach Kyjiw.

Als zu ich dieser Reise aufbrach sprach und verstand ich weder ein Wort ukrainisch noch russisch, noch nicht einmal das kyrillische Alphabet beherrschte ich. Die Offline-Karte auf meinem Smartphone war allerdings nur auf English, es war also tatsächlich ein Aufbruch zu einem Abenteuer.

Die Etappen habe ich damals nicht aufgezeichnet, sondern nun noch einmal für diesen Artikel nachgezeichnet. Dass es ausgerechnet ein Krieg ist, welcher mit nun 10 Jahre später veranlasst diese Artikel zu schreiben hätte ich mir nicht vorstellen können. Ich hatte damals jeden Tag, nur für mich selbst, ein paar Notizen über das erlebte in mein Telefon getippt, an manchen Tagen nicht mehr als zwei Sätze. Nichtsdestotrotz ausreichend um mit meinen nach wie vor für mich sehr präsenten Erinnerungen ausführlicher über diese Reise zu schreiben.

Ankunft In Kyjiw

Das Fahrrad war zum teil zerlegt und in einem Karton verstaut an welchen ich zwei Rollen für den einfacheren Transport befestigt hatte. Mit meinem Gepäck verließ ich den Flughafen und gelangte mit einem Shuttlebus zum Hauptbahnhof von Kyjiw. Von dort sollte es mit der U-Bahn zu meinen Gastgeber*in gehen. Ich lief also mit dem Karton geradewegs in Richtung Metro, ich wurde gestoppt und verstand kein Wort. Zumindest konnte ich dem gestikulieren der Frau entnehmen, dass ich mit diesem Karton nicht in die Metro könne. Ich versuchte also ein passendes Taxi zu bekommen, was mit diesem Gepäck auch nicht einfach war. Letztendlich musste der Karton auf die Rückbank, der Trecking-Rucksack mit meinem restlichen Gepäck in den Kofferraum und dann ging es los.

Ich hatte damals ein Gästezimmer in einer der Plattenbausiedlungen von Kyjiw gebucht. Meine Gastgeber*in, Valeriia und Brent, sie gebürtige Ukrainerin er aus den USA, lebten selbst in dieser Wohnung im Rajon Swjatoschyn einem Außenbezirk von Kyjiw und vermieteten ihr Gästezimmer unter, Küche und Bad wurde geteilt. Für mich war es auch ein Weg Leute vor Ort kennen zu lernen und nicht nur die Touristischen Ort zu besuchen. Als ich ankam waren sie selbst von ihrer Reise noch gar nicht zurück, aber eine Freundin lies mich schon in die Wohnung und zeigte mir alles.

Als erstes baute ich mein teilzerlegtes Fahrrad wieder auf, danach besorgte ich mir erst einmal eine SIM-Karte um zumindest etwas Internet zu haben und im Zweifel auch telefonieren zu können. Genau hier kam natürlich die Sprachbarriere sofort zum tragen, denn in dem Geschäft von Київстар (Kyivstar) sprach niemand englisch. Mit Hilfe einer Dame aus dem Servicecenter am Telefon, welche alles übersetzte, bekam ich eine SIM-Karte welche für 4 Wochen Funktionieren sollte. Spoiler, diese SIM Karte sollte unerwarteter Weise noch viele Jahre in Benutzung sein, diese Telefonnummer habe ich bis heute.

Ich besorgte im Supermarkt noch etwas zu Essen und ging zurück in die Wohnung von Valeriia and Brent, die kurze Zeit später auch eintrafen. Da beide in Kyjiw als Englischlehrer*in arbeiteten war zumindest die Kommunikation auf englisch problemlos möglich.

Tag 1: Raus aus Kyjiw

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Nach dem Frühstück stieg ich aufs Rad, den Karton sowie meinen Trecking-Rucksack lies ich bei Valeriia und Brent, denn ich würde wenn ich aus Odesa zurück komme noch einige Tage bei ihnen in Kyjiw verbringen. Also erst einmal raus aus der Stadt, über die großen Ausfallstraßen, heute würde ich mit Navigation zumindest versuchen wohl eher über kleiner Nebenstraßen zu fahren, aber damals hatte ich nur eine simple statische Karte auf dem Smartphone die noch nicht einmal meinen Standort anzeigte.

Den Verkehr in Kyjiw empfand ich als eine einzige Katastrophe, Rücksicht für Radfahrende war nicht zu erwarten, ständig wurde man dich überholt und gerade am Fahrbahnrand musste man aufpassen dass man nicht Schlaglöchern oder bei fehlenden Schachtdeckeln in der Kanalisation verschwand.

Auf dem Weg aus der Stadt hielt ich noch an einer Autowerkstatt um den Reifendruck zu kontrollieren, ich musste noch ein wenig nach pumpen. Die Verständigung erfolgte natürlich ausschließlich über gestikulieren.

Nach einiger Zeit hatte ich den urbanen Bereich von Kyjiw, im Süden auf der Westseite des Flusses Dnjepr, verlassen. Überholt wurde natürlich auch weiterhin mit viel zu geringem Abstand, aber zumindest war der Straßenbelag deutlich besser.

Kurz vor Kosyn habe ich dann die große Straße verlassen um auf einer etwas ruhigeren Straße näher am Dnjepr fahren zu können, viel vom Fluss war nicht zu sehen, denn die Straße war links wie rechts mit hohen Zäunen und Mauern gesäumt, hinter dem sich die Villen der Reichen von Kyjiw befinden.

Nach etwa 100 Kilometern Strecke dachte ich darüber nach mir eine Platz zu suchen wo ich mein Zelt aufschlagen könnte. Während ich durch ein kleines Dorf names Pii radelte grüßte ein älterer Herr freundlich am Straßenrand. Ich hielt an und versuchte ihm mit meinem Wörterbuch auf dem Smartphone zu verstehen zugeben, dass ich nach einem Platz für mein Zelt suchte. Hier sei angemerkt, dass es wirklich nur ein Wörterbuch war, welches zum Glück auch offline funktionierte, aber an die Übersetzung von Sätzen war nicht zu denken. Erneut war gestikulieren angesagt und er gab mir zu verstehen, dass er seine Brille benötigen würde. Ich folgte ihm langsam zu seinem kleinen Hof, nach dem er seine Brille holte schaute er erneut auf mein Telefon und verstand wohl auch dass ich nach einem Platz für mein Zelt suchte. Aus seinen Gestiegen entnahm ich, dass es hier nichts gäbe aber ich sollte kurz warten. Als er erneut aus seinem kleinen Haus trat, bat er mich hinein und zeigte mir eine Couch auf der ich wohl schlafen könnte. Das Haus war schlicht und in eher schlechtem Zustand, dennoch es war ein Dach über dem Kopf für diese Nacht. Ich nahm meine Taschen von Fahrrad brachte diese ins Haus und mein Fahrrad schloss er in einem alten VW T3 Bus ein, welcher seine besten Zeiten wohl schon lange hinter sich hatte. Er brachte mir etwas Brot und ein paar Konserven dazu, ich wollte gar nichts annehmen, aber dies wäre wohl sehr unhöflich gewesen, also aß ich zumindest ein wenig. Ich war auf jedenfalls beeindruckt wieviel Menschen geben, die selbst doch so wenig haben.

Tag 2: Über den Dnjepr

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Bevor ich Pii verließ zeigte mir der ältere Herr, bei dem ich übernachtet hatte und dessen Namen ich bis heut nicht kenne, noch ein Fotoalbum, er war wohl in den siebziger Jahren als Soldat der Sowjetarme in Potsdam Stationiert.

Die Straßen wurden sichtlich schlechter, gerade wenn es mal wieder bergab ging und ich das Rad einfach nur rollen lassen wollte, musste ich immer wieder herunter bremsen um im Slalom um die Schlaglöcher zu kommen. Nach ca. 20 Kilometern ging es für einige Kilometer bergab in Richtung Kaniw, wo ich auf die Ostseite des Flusses queren wollte. In Kaniw deckte ich mich zunächst auf dem Markt wieder mit etwas Essen ein, bevor es über den Staudamm des Wasserkraftwerkes auf Ostseite des Dnjepr ging. Dort musste ich aus dem Tal heraus erst einmal wieder den Berg hinauf, bevor aus dann auf einem Plateau gemächlich leicht bergab ging, dafür machte mir dann der Wind von vor zu schaffen.

Nach ca. 60 Kilometern am zweiten Tag war ich sichtlich platt, das spärliche Frühstück und das bisschen Obst welches ich seit Kaniw gegessen hatte war wohl deutlich zu wenig Energiezufuhr. Ich nahm Platz in einem Restaurant welches fernab größerer Städte an der Kreuzung der Fernstraßen H02 und H08 liegt. Nach einer guten Stunde Rast und einem Liter süßen Eistee, sowie einer Portion Schaschlik fühlte ich mich sichtlich gestärkt und bereit weiter gegen den Wind anzukämpfen.

Solotonoscha sollte die letzte größere Stadt für diesen Tag sein, ich hielt vor einem Supermarkt um noch etwas Essen für den Abend und den nächsten Morgen zu kaufen. Als ich aus dem Geschäft kam standen zwei sehr interessiert vor Jungen, ich schätze zwischen 10 und 12 Jahren alt, an meinem Rad. Einer der beiden konnte ein wenig englisch und war sehr erstaunt darüber, dass ich mit dem Fahrrad von Kyjiw nach Odesa fuhr.

Etwas außerhalb von Solotonoscha auf einem kleinen Parkplatz an der großen Fernstraße H08 in Richtung Krementschuk wollte ich noch einmal auf die Karte schauen, es war Zeit einen Platz für mein Zelt zu finden. Auf dem Parkplatz habe ich Olexandr kennen gelernt, er sprach englisch so konnten wir gut miteinander sprechen, er gab mir seine Telefonnummer und meinte, wenn ich es nach Saporischschja schaffen würde, so sollte ich mich bei ihm melden. Er würde mir einiges in der Stadt zeigen, unter anderem den wohl ersten oder größten Staudamm in der Ukraine.

Nur ein kurzes Stück weiter schlug ich in der Dämmerung etwas abseits der Straße, am Feldrand, zwischen den Bäumen mein Zelt auf. Ob das sicher ist? Ich sagte mir, solange keiner weiß dass ich hier bin wird hier niemand nach mir suchen.

Tag 3: Durch Sonnenblumenfelder

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Nach meiner ersten Nacht im Zelt machte ich mich am Morgen auf den Weg nach Krementschuk, der nächsten großen Stadt gelegen am Dnjepr.

Die Sommer in der Ukraine sind heiß und trocken, zum Radfahren eigentlich auch irgendwie schon wieder zu heiß. Ich hatte mir vorgenommen in Krementschuk ein Hotelzimmer zu nehmen um auch mal wieder ordentlich duschen zu können. So fahre ich Kilometer für Kilometer zwischen Sonnenblumenfeldern weiter auf Krementschuk zu. Auf einem Damm quere ich das Krementschuk Wasserreservoir, der Dnjepr nimmt hier gigantische Ausmaße an, von zum Teil um die 15 km Breite.

Kurz vor Krementschuk, es muss in Hradysk gewesen sein überhole ich einen Radfahrer, welcher mich kurz darauf auch überholt und mich anspricht. Er spricht englisch, also wechseln wir ein paar Worte bevor er davon fährt.

In Krementschuk angekommen fuhr ich über die Hauptstraße in Richtung Zentrum, als ich am Straßenrand ein Mann wahrnahm, der nach mir zu winken schien. Ich erkannte den Radfahrer wieder mit dem ich mich zuvor unterhalten hatte. Als ich anhielt stellte er sich mir als Valerii vor und lud mich in seine kleinen Datsche ein. Dort traf ich neben Hunden und Katzen auf seinen Sohn Vyacheslav, der etwa 10 Jahre alt war. Valerii zeigte mir zeigt mir auf seinem Notebook Fotos von Schiffen mit denen er zur See gefahren ist. Nachdem ich im Hof der Datsche in einer Metallwanne gefüllt mit kaltem Wasser gebadet hatte fuhren wir gemeinsam mit den Fahrrädern zu ihrem Haus. Ich sollte zum Abendessen bleiben und auch danach war es unmöglich die Einladung dort zu übernachten abzulehnen. So wurde zunächst nichts aus der angedachten Hotelübernachtung, so hatte ich allerdings die Möglichkeit nicht nur das Land sondern auch die Leute besser kennenzulernen.

Tag 4: Am Strand von Krementschuk

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Der Abschied von Valerii und Vyacheslav war nicht so einfach, ich wollte ihnen zumindest das gesparte Geld fürs Hotel da lassen, aber da führte kein Weg hinein. Vyacheslav wollte so gern mal auf meinem Fahrrad sitzen, ich hätte ihn ja auch fahren lassen, aber das ließ sein Vater Valerii leider nicht zu. So entsandtet zumindest das Foto auf dem Vyacheslav auf meinem Fahrrad sitzt direkt vor ihrem Haus.

Ich entschied einen Tag Pause einzulegen und suchte mir ein Hotel, "Готель" dass habe ich trotz fehlender Sprachbarriere und kyrillischer Alphabet Kenntnisse hinbekommen. Zum Essen ging es in's Pestopah (Ресторан), dass dies mehr oder weniger als Restaurant ausgesprochen wird sollte ich erst nach meiner Reise erfahren, als ich einen Sprachkurs belegte und endlich auch mal das kyrillische Alphabet lernte.

In dem Restaurant hing jedenfalls ein riesiges Banner in dem ein Strand zu sahen war, aber auch eine Brücke im Hintergrund. Ich wusste nicht wo das ist, vom Schwarzen Meer war ich noch recht weit entfernt, aber Seen hatte ich auf der Karte hier in der Region auch nicht entdeckt, der Dnjepr ist jedoch in dieser Gegend sehr breit. Ich fragte einfach bei der Bedienung nach (auf englisch) und war verwundert, dass der Strand nur ein paar hundert Meter entfernt sei. Nach dem Essen machte ich mich erst einmal auf an der Strand. So chillte ich den Nachmittag am Strand und genoss meinen Ruhetag in Krementschuk.

Tag 5: Ukrainische Küche

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Am Morgen verließ ich Krementschuk, über die große Brücke welche ich am Tag zuvor schon vom Strand aus gesehen hatte. So kehrt ich zurück auf die Westseite des Dnjepr und musste natürlich wieder einmal erst aus dem Flusstal heraus fahren. So hieß es zunächst bergauf strampeln und dabei blieb es nicht. An diesem Tag durfte ich zum ersten mal die Topografie der Ukraine näher kennen lernen und was diese insbesondere für das Reisen in Ost-West-Richtung bedeutet. Kaum hat man den ersten Berg erklommen, geht es wieder hinunter und während man herunter fahrt sieht man auch schon den nächsten Anstieg.

In der Ukraine gibt es typischerweise Obst und Gemüse nach Saison, natürlich gibt es auch importierte Waren die sind aber sehr viel teuerer. Im August ist Saison für Wassermelonen, die bekommt man zu dieser Zeit im Prinzip an jeder Ecke. So hielt ich in Oleksandriia neben einem großen Käfig voller Wassermelonen am Straßenrand, ich suchte mir eine möglichst kleine Melone aus ,was nicht einfach war denn die waren alle riesig. Diese schnitt ich an Ort und Stelle mit dem kleinen Taschenmesser auf, nach etwa zwei Drittel war ich voll, mehr ging einfach nicht.

In Oleksandriia verließ ich dann auch die große Fernstraße, um auf einer der etwas kleineren Territorialstraßen in Richtung Kropywnyzkyj (damals noch Kirowohrad) weiter zu fahren. Wie üblich wurden die Straße damit deutlich schlechter, aber der Verkehr ließ zumindest deutlich nach.

Kurz vor dem Ortseingang von Kropywnyzkyj hielt ich an einer Tankstelle um mir einen Überblick zu verschaffe wie ich am besten in die Stadt hinein fahre könne. Plötzlich hatte ich 2 bellende Hunde um mich und mein Fahrrad herum. Der Besitzer kam heraus und nahm die Hunde bei Seite, weitere Kommunikation mit ihm gestaltete sich wie üblich schwer, mangels meiner lokalen Sprachkenntnisse. Zumindest verstand ich dass er mich fragte ob ich essen möchte, es war schon am späten Nachmittag und ich hatte kein richtiges Mittag, also nickte ich freundlich und folgte ihm. Es war nicht nur Tankstelle, sondern auch ein kleines Café. Erstellte sich mir als Anatolii vor, ich bestellte nichts, aber bekam eine Suppe bzw. einen Eintopf serviert. Er sagt nur kurz Borschtsch zu dem Gericht, davon hatte ich zumindest schon vor meiner Reise gehört und dass ich dies unbedingt probieren solle. So aß ich also zum ersten mal Borschtsch, danach servierte er mir noch mit Reis und Fleisch gefüllte Paprika. Die Menge war so groß, dass ich es kaum schaffen konnte. Als ich zahlen wollte wiegelte er ab, er wollte keine Geld haben. Ich hatte ihm ja versucht zu verstehen zu geben, dass ich mit den Rad von Kyjiw nach Odesa fahre, so kam es dass er mich nicht gehen ließ ohne noch ein paar Tips für die weitere Reise geben zu wollen. Er holte ein Buch mit einer Karte und zeigte mir, dass ich nach Mykolajiw fahren müsse und von dort dann weiter nach Odesa. Da ich die großen Fernstraßen zumindest wenn möglich meiden wollte zeigte ich ihm eine andere Route, über Wosnessensk, nach Odesa welche ich bevorzugte. Er zeigte auf die Straße zwischen Wosnessensk und Odesa und sagte etwas das so klang wie "kaputt", ich dachte mir in diesem Moment, die Straßen hier sind alle kaputt also was soll's. Was kaputt für einen Ukrainer bedeutet sollte ich in ein paar Tagen herausfinden.

Ich verabschiedet mich und fuhr nach Kropywnyzkyj hinein um mir ein Hotelzimmer zu nehmen. Ich hatte die Auswahl zwischen verschiedenen Zimmer zu unterschiedlichen Preisen, die Details verstand ich natürlich nicht. Ich entschied mich für das günstige und blieb dabei, auch wenn ich wohl "no good" als Warnung verstehen sollte. Das Zimmer war ziemlich herunter gekommen, aber ich hatte ein Bett und fließend Wasser, es hätte schlimmer sein können. Mein Fahrrad wurde über Nacht in einem Raum hinter der Rezeption aufbewahrt.

Tag 6: Gastfreundschaft unter freiem Himmel

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Ich fuhr auf der großen Fernstraße in Richtung Mykolajiw, also direkt in Richtung Süden und damit deutlich weniger Anstiegen als am Tag zuvor. Egal ob ich über Mykolajiw oder Wosnessensk nach Odesa fahren würde, der erste Abschnitt war der selbe und so ging mir die ganze Zeit durch den Kopf was Anatolii am Vortag sagte "kaputt".

Kurz vor Wossijatske wo ich mich entscheiden musste, wie ich denn weiter fahren würde hielt ich an eine Café vor welchem hauptsächlich Trucks hielten und auch die Gäste sehr nach Truckfahrer aussahen, beim hineingehen sah ich dass jemand Borschtsch aß und da ich auf der Tafel mit den Gerichten nichts lesen konnte, sagte ich einfach Borschtsch. So aß ich nun schon den zweiten Borschtsch, einfach weil mich mein Sprachkenntnisse limitierten.

Nachdem ich mich gestärkt hatte entschied ich mich bei meinem Plan zu bleiben und fuhr in Richtung Wosnessensk weiter, also westwärts. So ging es wieder auf und ab, auch wenn ich dies schon kannte zerrte es doch deutlich an an meinen Kräften aber auch an den Nerven, denn es schien einfach kein Ende zu nehmen.

Mit Einbruch der Dämmerung wollte ich mir einen Platz zum zelten suche, jedoch war ich ziemlich kaputt und so bog ich nahe Kovalivka in einen Feldweg ein, auf welchem ich mich deutlich von der Straße entfernen wollte. Geschützt in einer Baumallee zwischen den Felden schlug ich also mein Zelt auf und legte mich hin, wenn auch noch nicht zum schlafen aber zumindest zum ausruhen.

Es dauerte nicht lang und ich hörte ein Auto, es klang deutlich näher als die Straße und es schein näher zu kommen. Ich hörte wie es direkt neben meinem Zelt hielt und jemand etwas sagte, was ich wie immer nicht verstand. Ich kroch also aus meinem Zelt, sah ein Auto mit Anhänge und ein paar Männer die wohl gerade von der Feldarbeit kamen. Dem Beifahrer, der ausgestiegen war sagte ich "Sorry, I don't Understand you". Er fragte mich dann "What are you doing here?". Ich erklärte auf englisch, dass ich mir dem Fahrrad auf dem Weg nach Odesa wäre und hier nur eine Nacht verbringen würde. Er kommentierte dies kurz mit Ok und fuhr mit den anderen im Auto davon. Ich kroch wieder zurück in mein Zelt um mich weiter auszuruhen.

Ich denke es dürfte so eine halbe bis eine Stunde später gewesen dass ich ein sich näherndes Motorrad horte und dachte in diesem Moment nur "ich bin hier soweit ab von der Straße, was ist denn hier für ein Verkehr auf dem Feldweg". Es kam wie es kommen musste, das Motorrad hielt natürlich auch direkt neben meinem Zelt. Allerdings wurde ich diesmal direkt auf englisch angesprochen, es musste als jemand aus dem Auto von vorhin sein. Es war der Beifahrer, welcher mit einem Motorroller zurück gekommen war um mir etwas Brot, Milch und Sonnenblumenhonig, sowie einen 5 Liter Wasserkanister zu bringen. Ich bedankte mich, fragte nach seinem Namen und was ich mit dem Kanister machen solle wenn er leer ist. Er stellte sich als Oleksii vor und meinte ich solle den Kanister an den Baum hängen, er würde ihn dann morgen wieder einsammeln.

Dies war wieder so eine Begegnung mit den Menschen in der Ukraine, die ich wohl nie vergessen werde.

Tag 7: Endloses bergauf und -ab

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Es ging weiter westwärts und der Tag begann wie der Vortag endete, ein endloses auf und ab. Steht man auf der Höhe kann man schon die nächsten 3 Täler und Höhen sehen und sobald man auf der nächsten Höhe steht bieten sich einem das gleiche Bild. Wosnessensk war gar nicht so weit entfernt, aber es schien unendlich weit weg hinter diesen Hügeln.

Schon kurz vor dem Mittag kam ich in Wosnessensk an und beschloss an diesem Tag auch nicht weiter zu fahren, ich suchte mir ein Zimmer. Diesmal modern, mit Klimaanlage, nach dem zelten und dem Zimmer in Kropywnyzkyj wirkte es fast schon Luxuriös. Ich kaufte im Supermarkt ein wenig ein, Obst kaufe ich auf dem Markt und dann ließ ich den Tag ganz entspannt ausklingen.

Tag 8: Keine Straßen, nur Wegbeschreibungen

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Die Straße von Wosnessensk nach Odesa verläuft südwärts, so war nicht mit so vielen Hügeln wie an den Tagen zuvor zu rechnen und da Odesa am Meer liegt sollte es ja auch irgendwie mehr bergab als bergauf gehen.

Die kurze Etappe am Tag zuvor und die viele Ruhe hatten gut getan, so dass ich mich richtig fit fühlte und auch gut voran kam. Die Straße allerdings wurde zunehmend schlechter, zum Teil war da mehr Schotter und Erde als Asphalt. Autos fuhren zum Teil nur noch Slalom im Schritttempo, so dass ich auf dem Fahrrad streckenweise schneller war. Manche verließen die Straße komplett und fuhren parallel über einen Feldweg und wirbelten riesige Mengen Staub auf.

Trotz der widrigen Straßenverhältnisse kam ich an diesem Tag weiter gut voran. Während ich am Morgen noch davon ausging, dass ich noch eine letzte Nacht im Zelt schlafen würde bevor ich Odesa erreichte wurde mir am frühen Nachmittag klar, dass ich es schaffen würde nach Odesa durchzufahren.

Ich kam Odesa näher, ich konnte das Meer schon riechen, aber sehen konnte ich es noch lange nicht. Der Weg nach Odesa hinein zog sich etwas hin, aber so kam ich am frühen Abend in Odesa an. Nach einem Ankunftsfoto am Bahnhof suchte ich das Hostel auf in welchem ich die kommenden Tag übernachten würde.

Odesa

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Die nächsten 6 Tage verbrachte ich in Odesa und erkundete die Stadt vor allem mit dem Fahrrad. Valeriia, welche ich bei einem Event am Stand kennenlernte wollte mir einen Park mit dem Denkmal der heroischen Verteidigung von Odesa der 411. Batterie zeigen. Dieser liegt weit im Süden von Odesa wo wir gemeinsam mit dem Fahrrad hinfuhren. Einen großen Teil der Strecke konnten wir auf der Трасса Здоровья (Weg der Gesundheit) direkt am Meer entlang zurücklegen.

Odesa ist wirklich eine Perle an der Schwarzmeerküste, aber ein wahnsinniger Kontrast zu den Dörfern und kleinen Städten welche ich auf meiner Radreise gesehen habe.

Kyjiw

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Ich fuhr mit dem Nachtzug im Schlafwagen zurück nach Kyjiw um dort noch ein paar Tage zu verbringen bevor der Urlaub vorbei sein sollte und ich wieder zurück nach Deutschland musste.

Ich war also zurück bei, Valeriia und Brent, sie waren ganz gespannt von meiner Reise zu hören. Sie meinten letztendlich, dass ich wohl allein in den wenigen Tagen viel mehr vor der Vielfalt der Ukraine gesehen habe als die meisten Besucher.

Über Couchsurfing verabredete ich mich mit Serhij welcher mir ein wenig die Stadt zeigen wollte. So fuhr ich wieder einmal über die großen Ausfallstraßen von Kyjiw, dieses mal zusammen mit Serhij und in Richtung Zentrum. Wir schauten an der Universität vorbei, fuhren über den Maidan, dessen Bedeutung nur wenige Monate auch viele Deutsche kennen würden. Wir schauten am Höhlenkloster von Kyjiw vorbei, bevor wir dann auf die Insel gelegen im Fluss Dnjepr fuhren.

Kyjiw ist einfach zu groß im es in wenigen Tagen zu erkunden, dafür werde ich mir irgendwann noch einmal Zeit nehmen müssen.

Schlusswort

Ich habe ein vielschichtiges Land kennengelernt, kleine arme Dörfer, reiche Städte wie Kyjiw und Odesa, herzliche Menschen die stets offen und hilfsbereit waren.

Ich habe auf dieser Reise unerwarteterweise meine Frau kennengelernt und bin mit ihr noch im selben Jahr auf die Krim gereist, bevor Russland diese illegal annektiert und den Krieg im Donbas los getreten hat.

Seit dem bin ich jedes Jahr wieder in die Ukraine gereist, zuletzt war ich im Januar 2022 und weniger Wochen vor der russischen Invasion dort.

Ich wünsche den tollen Menschen die ich in der Ukraine kennen gelernt habe, sowie auch allen anderen Ukrainer*innen Kraft die russische Aggression durchzustehen, auf dass der Krieg bald endet, sie die territoriale Integrität ihres Landes zurück erhalten und wir sie auf diesem Weg, sowie dem Wiederaufbau ihres Landes unterstützen.

Slava Ukraini

6. März 2023

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